Erlebnisbericht vom Köln-Marathon am 6.10.2002

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Nach monatelanger Vorbereitung mit verloren Zehnnägeln, Blutblasen, durchtretenden Füßen, enttäuschten Bekannten und liegengelassener Hausarbeit, ging es endlich los:

Mein erster Marathon!

Am Donnerstag, den 3. Oktober, bin ich mit meinem Freund Kurt nach Köln zur Marathon-Messe. Meine Startunterlagen abholen.

Mein Gott, was für ein Getümmel! Ich hätte nie erwartet, dass es so voll sein könnte. Wir waren auch schon um 10.30 h da. Wo ja erst um 10.00 geöffnet wurde.

Jetzt plötzlich war ich nervös:

Die vielen Leute. Und alle hatten so einen Beutel um, an dem man erkennen konnte, dass sie auch teilnehmen werden. Wir kämpften uns durch die Massen. Am anderen Ende des Zeltes war eine Treppe und oben bekam man den Beutel mit den Startunterlagen. Da ich das ja zum ersten mal gemacht habe, wußte ich natürlich nicht, dass man den Chip vorher am Eingang des Zeltes kaufen mußte und erst nach vorzeigen der Quittung die Unterlagen bekommt. So sind wir erst wieder zurück durchs Zelt und haben das ganze noch mal hinter uns gebracht.

Glücklich die Unterlagen zu besitzen, haben wir uns noch die Stände angeschaut, die so günstige Artikel anboten. Wollte eigentlich eine Laufuhr kaufen, aber es war zu voll und niemand hatte Zeit mich zu beraten.

Wir sind dann zum START nach Deutz gefahren und haben uns in der Nähe ( Nippes ) schon mal nach Parkplätzen um geschaut.

Dann ging es zurück nach Hause.

Am Freitag waren wir noch auf einer Fete eingeladen, bei der es immer feuchtfröhlich zugeht. Aber, den Marathon immer vor Augen, habe ich auf jeglichen Alkohol verzichtet.

Samstagabend war dann Pastaparty angesagt. Habe zwei Nudelgerichte mit unterschiedlichen Soßen gekocht.

Natürlich fettarm - wie mein Marathon-Ratgeber mir empfohlen hat. Bin mit Kurt dann noch mal die Laufstrecke im Kopf durchgegangen und haben die Stellen besprochen, wo wir uns treffen wollen und an welchen Stellen er mir meine Trinkflasche mit den Kohlenhydraten reichen solle. Dann gegen 23.00 h war Bettruhe angesagt.

Die Nacht war eine Katastrophe. Habe fast gar kein Auge zu gemacht. Hätte wohl doch ein Bierchen als Einschlafhilfe trinken sollen. Nun gut.

Es ist Sonntag, 6. Oktober 2002 , 7.30h:

Den Wecker hätte ich mir sparen können, denn ich war ja eh schon wach. Blitzschnell war ich aus den Federn.

Hatte mir am Tag vorher schon überlegt was ich essen soll. Habe mich für eine Banane u. ein Weißbrot mit Marmelade entschieden. Am Liebsten hätte ich gar nichts gegessen, aber das ging natürlich nicht.

Haben dann noch das Fahrrad meines Freundes eingeladen ins Auto und haben uns dann

(8.30h) auf den Weg nach Köln- Nippes gemacht. Kurt hatte erzählt, dass im Radio und Fernsehen vor Stau um Köln rum gewarnt wurde. Das war jetzt erst mal meine größte Sorge. Hoffentlich würde alles glatt gehen.

Aber wir hatten Glück: Kein Stau! Haben auch sofort einen Parkplatz gefunden. Pünktlich nach dem Aussteigen fing es zu regnen an. Ich hatte mich sowieso für eine lange Laufhose entschieden. Mein Ratgeber hatte mir dann auch noch einen "Gelben Sack" empfohlen, den ich mir bei Regen überstülpen sollte.

Von weitem konnte man schon die Sprecher und die Musik hören. Ansonsten war nichts los. Hätte ich nicht gewußt das heute der Marathon wäre, hätte man nichts gemerkt. Erst am Startbereich selber war dann schon viel los. Die Skater und Handbiker waren schon in den Startzonen. Haben uns noch den Start angeguckt und sind dann der Masse hinterher zur Beutelabgabe an den Messeparkplätzen. Da standen dann mehrere LKWs, die nach Startnummern sortiert waren. Trotz des großen Andranges ging es sehr fix. Dann war die Aufregung riesengroß.

Bin auf eines der "hundert" Dixi-Klos, wo alle anderen Läufer schon in Schlangen mit angespannter Mine warteten. Es ging auch hier schnell vorwärts. So nun konnte nichts mehr schiefgehen.

Aufstellung im "Blauen Startbereich". Die Musik dröhnte ziemlich laut, aber es brachte gute Stimmung und so habe ich mich schon mal warm getanzt. Der Nieselregen war schon unangenehm, aber da hatten ja alle mit zu kämpfen. Dann haben wir schnell noch ein paar Fotos geschossen von dem Ereignis. Kurt fror auch schon und dabei hatte es noch gar nicht richtig angefangen für ihn.

Michaela Becker am Start
Michalea am Start

Wir hörten wie die Startschüsse fielen. Es waren einige bevor sich vor mir die Schlange in Bewegung setzte. Noch eine kurze Verabschiedung und los ging es. Die ersten Meter gingen sehr schleppend, aber nach der Startlinie konnte man schon gut laufen. Klar, war es sehr voll und so hatte ich den ersten Kilometer die längste Zeit von allen anderen Kilometern die folgen sollten. Es ging als erstes über die Severinbrücke. Das war schon ein tolles Gefühl. Wo normalerweise der dickste Verkehr herrscht, bestimmten jetzt tausende Läufer das Bild. Und ich mitten drin. Ein unbeschreibliches Gefühl. Schon jetzt setzte sich Adrenalin in meinem Körper frei. Hinter der Brücke entledigte ich mich erstmal meines "gelben Sackes", denn ich hatte nun Betriebstemperatur. Der Regen hatte aufgehört. Überraschender Weise standen hier schon Freunde von mir, die ich eigentlich erst ab Kilometer 35 erwartet hatte. Es war mehr als Glück, dass ich sie bzw. sie mich gesehen hatten.

Stolz wie Oskar ging es munter weiter. Habe immer genau geguckt, dass ich jeden Kilometer abstoppe um nicht zu schnell anzugehen. Das klappte ganz gut, da auch viele Andere das taten. Hatte versucht mir einen Gleichgesinnten zu suchen, der genau wie ich das Ziel hatte anzukommen. Als Richtwert hatte ich mir unter 4:30 Std. gesetzt, so hatte ich errechnet wie meine Durchgangszeiten sein durften. Aber leider hatte keiner mein Tempo. Habe mich zwar immer zeitweise an jemanden geklemmt, aber irgendwann wurde es mir zu schnell oder zu langsam. Auch habe ich nicht wirklich mit jemandem gesprochen.

Na ja, dann mußte es eben so gehen. Es war ja noch Kurt da, den ich auf den vereinbarten Kilometern hoffte zu treffen. Nach den ersten 15 Km hatte ich ihn schon 2 mal getroffen. Mir ging es super. Die Zuschauer waren grandios. Sie klatschten und sangen. Es gab auch viele Musikgruppen die mit Trommeln und anderen Instrumenten gekommen waren um uns alle anzufeuern. Wahnsinn, wie viele sich bei diesem Sauwetter (10 Grad C) all die Stunden hier hinstellten. Ich war beeindruckt.

Die Kinder standen am Rand und streckten uns ihre Hände entgegen, die teilweise mit überdimensionalen Schaumstoff-Händen ausgestattet waren, zum Abklatschen. Das machte den Kindern, und uns natürlich auch, großen Spaß.

Dabei konnte man auch fast den starken und vor allem kalten Wind vergessen. An den Getränkeständen war es immer ziemlich voll und überall waren Wasserpfützen und es lagen unendlich viele Becher am Boden. Selbst wenn man hätte wollen, wäre es nicht möglich gewesen an dieser Stelle einfach weiter zu laufen. Ich habe mich dann auch entschieden dort zu gehen, obwohl ich mir eigentlich vorgenommen hatte dies nicht zu tun.

Selbst Zuschauer hatten Getränke bereit gestellt.

Meine Mitläufer/innen waren teilweise sehr lustig angezogen. Einer hatte sich z. B. ein Kostüm genäht und ist als Kölschglas gelaufen. Andere hatten sich als Elche oder Kühe verkleidet. Das Beste war jedoch jemand der mit einem Infusionsständer lief, wo seine Trinkflaschen dran hingen . Wahnsinn, wie der das geschafft hat?

Ich war noch fit und guter Dinge. Hatte gerade noch meine Kolleginnen zum 2. Mal gesehen, die hätten mich fast übersehen, wenn ich nicht gerufen hätte. Sie waren abgelenkt, denn neben Ihnen lag eine Läuferin die zusammengebrochen war. Nicht so gut für meine Psyche!

Die Strecke bis zur Halbmarathon-Distanz verging recht schnell.

Michaela Becker unterwegs
Michalea unterwegs

Kurt lief ein Stück neben mir her und wir passierten die Markierung gemeinsam. Die Hälfte war geschafft.

Die Stimmung bei den Zuschauern war immer noch bombig. Jetzt kam der härteste Teil.

Wir liefen jetzt aus dem Zentrum hinaus. Zeitweise waren recht wenig bis gar keine Leute mehr da die anfeuerten. Auch meine Leute konnte ich die nächsten 13 Km jetzt erst mal nicht mehr erwarten.

Hier standen die Häuser nicht mehr dicht an dicht. Der kalte Wind blies sehr heftig von vorne und stoppte mich fast. Das kostete Kraft.

Nach Kilometer 25 - 30 fingen dann meine Knie und Beine an zu schmerzen. Da mußte ich jetzt durch - ganz alleine! Jede Trinkstation die kam erfreute mich doppelt, denn erstens gab es was zu trinken und zweitens konnte ich gehen ohne schlechtes Gewissen. Doch dann kam doch noch mal der Kurt, ganz unerwartet aber zur richtigen Zeit. Ich habe mich so gefreut. Denn mir ging es gar nicht so gut. Neben mir hörten so mit und mit die Leute auf und ich fragte mich auch mehr und mehr: "Warum mache ich das eigentlich hier alles?" oder "Wem musst Du hier eigentlich was beweisen?" u.s.w.

Ich blieb stehen, umarmte ihn und klagte bei Kurt mein Leid. Aber er sagte nur: "Ich bin so stolz auf Dich. Du hast es doch schon so weit geschafft. Bleib' jetzt nicht stehen. Wir sehen uns gleich wieder"

Was sollte ich da machen! Also bin ich weiter. Etwas angespornt, aber auch sauer darüber, dass er kein Verständnis hatte für meine Qualen die ich durchmachen mußte.

Ich trat mir selber in den Arsch. Und sagte mir: " Komm jetzt! Mach nicht schlapp! Die monatelange Vorbereitung - das soll doch nicht alles für die Katz gewesen sein! Reiß' Dich gefälligst zusammen!"

Gerade als ich diese Gedanken hatte, überholte mich ein etwa 55-60 jähriger Mann, der eine ziemlich runde Kugel (Bauch) mit sich herum trug. Er hatte auch ein T-Shirt an vom Monschau-Marathon 2001. Das war zu viel! Wenn der das schaffte, dann ich ja wohl dreimal. Das war der beste Ansporn (Sorry, an all meine Fans).

Meine Freunde traf ich dann auch noch mal bei Kilometer 37. Da machte ich wohl keine so gute Figur, denn ihre Gesichter sahen besorgt aus. Ich lief auch schon mehr als in Trance. Die Beine bewegten sich automatisch vorwärts. Schmerzen hatte ich keine mehr. Ich fühlte mich wie auf Dope. Das muss wohl das sogenannte "Runners-High" gewesen sein. Na ja, ein "Hoch" war das aber nicht gerade.

Kurt traf ich noch ca. 4 Km vorm Ziel. Er sah auch nicht mehr so fit aus. Er war total durchgefroren. Aber ich war wohl nicht die richtige, die Ihn bedauern konnte. Er versuchte zu lächeln u. sagte zu mir: "Schau mal da. Das ist schon der Dom. Du hast es bald geschafft." Tatsächlich - da waren schon die Domspitzen zu sehen!

Das letzte Stück, bis fast zum Ziel, fuhr er neben mir her. Das war aber eher demotivierend, denn ich hätte sooooo gerne mit Ihm getauscht.

Die letzten Kilometer zogen sich wie Kaugummi. Ich hatte das Gefühl, jemand hätte die Kilometerangabe-Schilder weiter zurück gestellt, als nur im Ein-Kilometer-Abstand.

Jetzt waren wir wieder im Zentrum. Es war immer noch die Hölle los. Die Zuschauer hielten uns immer noch die Treue. Die Stimmung war ungebrochen gut.

Kurt konnte nicht weiter neben mir fahren. Er bog ab.

Jetzt kam der letzte Kilometer! Über Kopfsteinpflaster ging es jetzt auch noch. Aber das machte nicht wirklich was aus. Außer den Füßen, die schon seit den ersten 10 Km schmerzten. Es pikste noch mal ganz ordentlich.

Ich konnte schon den Sprecher im Ziel hören. Jetzt gingen die letzten hundert Meter durch die Fußgängerzone. Noch die letzte Biegung und da endlich:

          Das ZIEL!!!

Ich riss die Arme in die Höhe. Unendliche Erleichterung machte sich breit. Ich hatte es wirklich geschafft. Konnte mich zwar kaum noch auf den Beinen halten, aber das war jetzt auch egal. Ich war überglücklich.

Habe noch Ausschau nach meinen Lieben gehalten, aber da war ja leider abgesperrt, so dass ich nichts sehen konnte.

Freude taumelnd ging ich Richtung Gasse. Auf der Domplatte blies ein kräftiger und eisiger Wind. Helfer verteilten Plastiksäcke zum Überstülpen gegen das Erfrieren. Das half nur im ersten Moment. Ich versuchte zügig in die Gasse zu kommen um meinen Beutel mit den warmen Sachen zu abholen, aber von zügig konnte nicht die Rede sein. Erstmal kroch ich fast. Zum Zweiten war ein starker Gegenwind. Und da war ja noch die Medaillenausgabe. Drei Helfer verteilten in Akkordarbeit mit einem Lächeln und "Herzlichen Glückwunsch" die Medaillen.

Michaela Becker im Ziel
Michalea im Ziel

Dann kamen die Fressbuden, Massagehalle und die Chipabgabe.

Ich fror ohne Ende.

"Wo ist denn hier die Beutelausgabe." fragte ich mit bibbernder Stimme einen Leidensgenossen. Der wirkte schon wieder sehr fit und zeigte mir den Weg.

Da endlich war die Ausgabe. Gott sei Dank war da nicht viel los. Nachdem ich meinen Beutel hatte, ging ich die Gasse weiter. Rechts und links standen die Läufer und zogen sich hier um. Sie standen teilweise nackt da rum.

Nein, das konnte ich jetzt wirklich nicht. Meine Unterlippe zitterte von selber und ich war durchgefroren. Ich braucht erst mal eine heiße Dusche. Am Ende des Ganges sah ich schon Dampf aufsteigen, aber leider auch eine riesige Menschenmasse. Ich stellte mich brav an. Zuerst kamen die Männerduschen danach die der Frauen. Bei den Frauen war die Hölle los. Bei den Männer nicht. Ich brauchte nicht lange überlegen - schwupp war ich in der Männerdusche. Das war mir echt so egal. Ein wenig guckten sie mich schon an, aber keiner sagte was. Man konnte schon die Wärme spüren. Schnell suchte ich mir eine halbwegs trockene Stelle am Bogen, wo ich meine Sachen hinlegte und ich zog mich im Sitzen aus. Dann endlich die Dusche. War das eine Wohltat! Langsam taute ich auf.

Ich sprach noch mit einem Mann der (natürlich nackt) neben mir duschte. Aber es spiele keine Rolle.

Endlich frisch und warm, zog ich mich an. Dann ging ich zurück zur Chipabgabe. Noch ein bißchen was Essen und Tschüs.

Am Dom wartete Kurt schon auf mich. Er war noch immer durchgefroren und ich stolz auf wie Oskar. Wir hielten uns nicht mehr lange auf und fuhren nach hause.

Das war mein erster Marathon. Vielleicht auch mein letzter. Aber wer weiß ...?

Auf jeden Fall eine ganz tolle Erfahrung und ein unvergessliches Erlebnis!!!

 

Michaela Becker