Erlebnisbericht vom Berlin-Marathon (28.9.2003)

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DER Marathon meiner Laufkarriere soll es werden: 3 Monate lang fast jeden Tag trainiert, bis zu 130 km pro Woche. Die Stecke ist schnell und die Wetterbedingungen optimal: Nicht zu kalt am Morgen und mäßiger Sonnenschein sind angesagt.

In freudiger Erwartung laufen die üblichen Vorbereitungen, die auch diesmal in Berlin sehr gut organisiert sind. Vor dem Reichstag stehen 95 LKW für 35.000 Kleiderbeutel bereit, im Startblock werden weiße Luftballons ausgegeben. Zum Startschuss steigen alle Ballons in die Luft und die Läufer über die Ziellinie - ein schönes Arrangement für die Luftaufnahmen.

Zum Start gebe ich den Eliteathleten vor mir mal gut 100 m Vorsprung, muss dann aber doch relativ schnell abreißen lassen :-). Sie nutzen das sofort aus und vergrößern jenseits der "Goldelse" (Siegessäule) den Abstand rapide.

Also suche ich doch lieber meinen eigenen Rhythmus und finde ihn irgendwo in Moabit. Kurze Zeit später sehe ich Winnie vom DLC, der nach einer Trainings-Auszeit "nur" knapp 3 Stunden laufen will und aufgrund seiner fabelhaften Bestzeiten im Block vor mir gestartet ist. Leider kann ich ihn nicht überreden, mit mir eine schnellere Zeit anzupeilen. Schade, so einen "alten Hasen" hätte ich gerne als Begleiter gehabt.

Dann wird es politisch. Vor dem Lehrter Bahnhof geht es über die Spree vorbei an Bundeskanzleramt, Schweizer Botschaft, Paul-Löbe-Haus und Reichstag. Danach wieder zurück über die Spree in Richtung Friedichstadtpalast, Alexanderplatz und Fernsehturm. Im Gegensatz zum letzten Jahr gibt es diesmal auch im Osten einen spürbaren Zuspruch an Schaulustigen. "Hey Tom" ruft jemand aus dem Gedränge - das auf meine Brust geheftete Namensschild zeigt seine Wirkung, die gerade auf den letzten Kilometern noch sehr gut tun wird.

Weiter am Kottbusser Tor vorbei und durch Kreuzberg in Richtung Rathaus Schöneberg. Das trockene Wetter sorgt für immer mehr Zuschauer und eine tolle Stimmung. Auch zeittechnisch läuft noch alles nach Plan.

Aber nach der Hälfte der Strecke ist das Limit erreicht und ich kann die planmäßige leichte Tempoerhöhung nicht mehr umsetzen. Kurze Zeit später tritt mir jemand an einem Verpflegungsstand ein Bein weg und ich knalle längs auf den Asphalt. Wütend und etwas konsterniert rappel ich mich wieder auf. Zum Glück habe ich mir auf dem nassen Belag nur Schürfwunden zugezogen, und nach einigen vorsichtigen Schritten kann es weiter gehen.

Tom Liese unterwegs
Tom unterwegs - nach dem Sturz bei km 36

Während es auf den Wilden Eber zugeht, nehme ich langsam Abschied von meiner Traumzeit 2:50 Std. - die ist heute nicht zu machen. Zum Trost gibt es wie jedes Jahr am Wilden Eber eine Wahnsinnsstimmung - mit Sambaband (die man schon 500 m vorher hört!) und Cheerleadern. Letzte Jahr konnte man "ab hier die Sau rauslassen", diese Mal hat man noch 15 km vor sich.

Auf dem Weg in Richtung Kudamm lerne ich Markus kennen, der von hinten aufschließt, mich aufmuntert und ein paar Kilometer mitzieht. Vor dem KaDeWe dann eine üble Erkennnis: Letzte Jahr fühlte ich mich hier noch richtig gut - und da war an dieser Stelle bereits das Ziel. Dieses Mal habe ich noch 10 km vor mir, und so langsam beginnt die Quälerei. Trotz 2 Portionen Powergel und Bananen geht langsam das Glykogen zur Neige, und auf dem Weg zu Potsdamer Platz kriechen die Schmerzen die Beine herauf. Die Schönheit des Platzes, des Gendarmenmarktes, der Museumsinsel usw. im strahlenden Sonnenschein nehme ich garnicht mehr wahr. Aber viele aufmunternde "Tom"-Rufe machen es unmöglich, ernsthaft ans Gehen zu denken.

Ab dem Auswärtigen Amt geht es nur noch darum, nicht noch langsamer zu werden und irgendwie weiterzumachen. Das Großhirn fragt an, warum ich das eigentlich mache. Ein Schweinehund (mein innerer) schlägt vor, ich könne mich auch einfach hinsetzen. Auch meine Beine und Füße pflichten ihm bei. Ich vertröste das ganze Pack auf später, obwohl ich mir inzwischen wie ein lahmer Ackergaul vorkomme.

"Unter den Linden" kann ich das ersehnte Brandenburger Tor lange Zeit nicht sehen, weil auf dem Pariser Platz der riesige begehbare Wander-Fußball für die WM aufgebaut ist - ein schlechter Ersatz. Endlich laufe ich durch das Tor: Auf diesen Moment habe ich monatelang gewartet. Jetzt noch ca. 300 m bis zur linken Panzerkette des T34 am sowjetischen Ehrenmal - GESCHAFFT!!!

Mit 2:53:11 habe ich meine persönliche Bestleistung um gut 5 Minuten verbessert. Ein gewisser Paul Tergat hat die seine nur knapp eine Minute unterboten - aber der ist eben zu schnell angegangen ...

Jemand hängt mir ein Stück der rund 2,5 Tonnen Finishermedaillien um und weiter geht es zur Nachversorgung. Neben Obst und Getränke bietet Berlin auch dutzende Feldbetten, auf denen angehende PhysiotherapeutInnen die Beine der Marathonis mit einer angenehmen Massage verwöhnen.
Am Ausgang gibt es Freibier (das ich doch lieber auslasse). Dahinter kann man sich eine Soforturkunde ausdrucken lassen und mit deren Hilfe wiederum am Stand nebenan Name und Zeit auf seine Finishermedaillie gravieren lassen.

Fazit: Der Berlin-Marathon hat durch die neue Streckenführung nochmals gewonnen und ist inbesondere Erstläufern uneingeschränkt zu empfehlen. Organisation, Strecke und Zuschauer sind top und schlagen in der Gesamtwertung auch Hamburg und Köln (Landschaftsmarathons in der Eifel laufen natürlich außerhalb jeder Konkurenz).

 

Tom