Letztes Jahr war der Steinfurt-Marathon mein erster Marathon. Trotz Regen und Wind war alles gut gelaufen.
Dieses Jahr wollte ich für meine Biel-Vorbereitung nochmal dort laufen. In den letzten Zeiten war
es viel geworden, aber langsam muss sich mein Körper an höhere Belastungen gewöhnen.
Der Marathon ist am Samstag. Der Start ist um 13:30 Uhr. Diesmal bin ich die einzige Läuferin
des Lauftreffs. Ich fahre mit Vincent. Unterwegs finde ich es merkwürdig, dass Helmut nicht dabei ist,
da wir meistens an den selben Marathons teilnehmen.
In Steinfurt angekommen geht alles wie üblich: parken, Startnummer abholen, sich umziehen.
In Steinfurt gibt es Brems- und Zugsläufer. Diese Läufer laufen immer dasselbe Tempo für
eine bestimmte Zielzeit. Ich starte mit der Gruppe 3:45 Stunden. Es ist bestimmt etwas schnell für
mich und ich plane nach ein paar Kilometern langsamer zu werden. Wir laufen zwischen 5:10 und 5:20 min/km.
Eigentlich passt mir das Tempo ganz gut. Nach 5 km kommt die erste Verpflegungsstation. Es wird viel angeboten:
Elektrolyte, Wasser, Tee, Orange und Banane. Ich greife einen Becher Elektrolyte und werde gleichzeitig
von der Gruppe mitgeschleppt. Keiner macht eine Pause und schon laufen alle weiter. Ich kann nur einen
Schluck trinken und schon geht es weiter. 5 km später gibt es wieder eine Verpflegungsstelle.
Ich nehme einen Becher und ein Läufer stürzt sich auf mich und verschüttet seinen Becher auf
meinem Arm (es war Iso, toll, jetzt ist mein Arm total klebrig). Ich trinke ganz schnell und laufe mit der
Gruppe weiter. Auf die Dauer kann es nicht gut gehen; ich soll doch beim Marathon vernünftig trinken.
Bei der nächsten Verpflegungsstelle nehme ich einen Becher Iso und einen Becher Wasser und lasse mir
Zeit, in aller Ruhe zu trinken. Nur ist die Gruppe längst vorbei und ich muss hinterher rennen.
Das kostet mich ein bißchen Kraft und bei km 19 entscheide ich, mein eigenes Tempo zu laufen.
Ich bin plötzlich sehr müde. Die Runde ist 21.1 km lang und wir müssen sie zweimal
absolvieren. Bald bin ich im Start/Ziel-Bereich und ich höre diese innere Stimme
"ach komm, Du kannst nicht mehr, hör jetzt auf. Das Auto ist da, Deine Sachen sind
da, die Duschen sind auch da. Du bist sowieso platt und schaffst nicht noch 21 km".
Mein Blick richtet sich auf die Zuschauer. Wo ist Vincent? Ich könnte sofort zu ihm laufen und
aussteigen. Er ist nicht da. Und was nun, wenn ich aufgebe? Ich habe keinen Autoschlüssel und
komme also nicht zu meiner Sporttasche. Ich laufe weiter. Es geht also noch. Kurz vor km 22 sehe
ich Vincent am Rand. Ich werfe ihm einen verzweifelten Blick zu. Er fragt, wie es mir geht und ich sage nur
"ich kann nicht mehr", worauf er mit einem Lächeln antwortet "jetzt schon?!".
Glaubt er mir nicht? Ich habe mich beim Laufen selten so schlecht gefühlt.
Naja, jetzt aussteigen ist auch blöd.
Es geht mir nicht gut, ich bin kraftlos. Bei km 23 gehe ich ein paar Schritte. Ein Belgier holt
mich ein und sagt "allez, hop-hop!", es macht mir Mut und ich laufe wieder mit ihm,
manchmal schneller, manchmal langsamer. Und jetzt spüre ich wieder den Schmerz im Rücken,
der mir seit ein paar Tagen Sorgen macht (an der selben Stelle hatte ich vor Jahren einen Muskelriss
und da ich immer Sport getrieben hatte, hatte es sehr lange gedauert, bis die Schmerzen verschwanden).
Das hatte noch gefehlt! Ich gehe wieder. Ich sehe Streckenposten und Sanitäter. Wenn ich hier
aussteige, fahren sie mich wieder ins Ziel? Ich laufe noch ein paar Kilometer und sehe dann weiter.
Ich trinke reichlich an der nächsten Verpflegungsstelle.
Solche Fragen und Ungewissheiten gehen mir durch den Kopf bis km 27. Ab da merke ich, dass es mir wieder
gut geht. Wie kann das sein? Ich laufe
wieder ein 5:30 oder 5:40 min/km-Tempo. Bald kommt das Schild "km 30". Wie schön! Jetzt ist es
nicht mehr weit. Ich überhole viele Läufer. Ich erkenne sogar einige der 3h45-Gruppe.
Und so geht es bis zum Ziel. Es ist zwar hart auf den letzten Kilometern, aber ich bin froh, den
Marathon gelaufen zu sein. Nettozeit: 3:55:48.
Nach dem Zieleinlauf bekomme ich meine Medaille und ein T-Shirt. Vincent sagt, ich bin die 17. Frau
in der Gesamtwertung und er hat nicht viele junge Läuferinnen gesehen. Vielleicht bin ich eine
von den 3 ersten W20? Egal, erstmal will ich duschen. Ich freue mich schon auf die warme Dusche.
Letztes Jahr bin ich bis zur Schwimmhalle gegangen, aber das Auto parkt in der Nähe des
Sportzentrums und die Siegerehrung findet da statt. Dann dusche ich im Sportzentrum. Es wird mir
langsam kalt. In der Umkleidekabine ist es etwas wärmer und schnell bin ich unter der Dusche
"uuuuaaaaa, die Dusche ist kalt!". Ich hätte doch zur Schwimmhalle gehen sollen.
Mit kaltem Wasser geht es natürlich schneller und ich bin pünktlich um 18 Uhr im
Raum der Siegerehrung.
Was für eine Überraschung: ich bin die 1. W20. Dafür bekomme ich meine Urkunde, einen Pokal,
einen Blumenstrauss und Laufbekleidung von Brooks. Ich muss sogar auf das Treppchen steigen :-)
Ich möchte mich bei dem Veranstalter, den Helfern, Zuschauern und Mitläufern bedanken. Es war ein gut organisierter Lauf. Heute habe ich mich wirklich schlecht gefühlt. Selten habe ich solche Tiefpunkte erlebt. Nach dem Lauf bleibt mir jedoch hauptsächlich im Kopf, dass ich meinen inneren Schweinehund überwunden habe und darauf bin ich sehr stolz. Auch wenn es merkwürdig klingt, macht Marathon einfach Spaß!
Sylvie