Erlebnisbericht vom Etappenlauf in Apeldoorn
13. bis zum 16. Mai 2005

AV Veluwe

Nach dem Grottenmarathon in Valkenburg (NL) fand ich eine Werbung auf der Windschutzscheibe meines Autos: Im Mai findet in Apeldoorn ein Etappenlauf statt. In 4 Tagen kann man entweder 60 (4 Etappen) oder 100 km (6 Etappen) laufen. Die Ausschreibung klingt sehr verlockend. Helmut und ich haben uns relativ schnell für die 100 km angemeldet.

Tag 1: Die Wette

Wir sind Freitag nachmittag gegen 15 Uhr losgefahren. Unterwegs war ziemlich viel Verkehr. Irgendwann hat Helmut eine Wette vorgeschlagen: Wenn nach den 100 km zwischen uns mehr als 100 Minuten sind, bekommt er von mir 6 Flaschen Wein. Und sonst bekomme ich sie. Ich war mir unsicher. Helmut läuft schnell und 1 Min./km Unterschied ist nicht viel. Aber für 6 Flaschen Wein kann ich mich anstrengen, oder? "no risk, no fun", also haben wir die Wette abgeschlossen.
Im Stadion angekommen ging alles sehr schnell. Wir waren etwas spät dran wegen des dichten Verkehrs. Anmelden, die Zelte auf der Wiese im Stadion aufbauen, unser Gapäck vom Auto bis zum Zelt schleppen, umziehen, warmlaufen und schon waren wir am Start.

1. Etappe (16,408 km)

Alle Läufer sind dabei (60 und 100 km-Läufer). Es geht flott. Der erste Kilometer und alle 5 Kilometer sind ausgeschildert. Meinen 1. Kilometer bin ich in 4 Min.33 gelaufen, viel zu schnell für mich. Ich bremse ein bisschen aber irgendwie werde ich vom Feld gezogen. Die Strecke ist Natur pur: Wander- und Waldwege. Es geht bergauf und bergab. Am Ende bin ich langsam schlapp, versuche aber mein Tempo zu halten. Ich sehe das Schild "noch 1 km". Helmut ist schon nach 1:08:43 angekommen und wartet auf mich. Wir laufen die letzten Meter zusammen. Ich erreiche das Ziel nach 1:22:42. 14 Min. Unterschied, d.h. ich habe einen Vorsprung von fast 2,5 Min. für unsere Wette. Es fängt gut an, aber ich weiss, dass ich ein solches Tempo nicht halten kann.
Helmut hatte seine Isomatte vergessen. Die Leute, die das Stadion betreuen, haben ihm freundlicherweise eine Riesen(-Luxus-)Luftmatratze geliehen, schon aufgepumpt. Nach der Dusche gehen wir in die Kantine, wo wir Brötchen mit Käse kaufen. Dazu trinke ich ein Glas Milch. Es ist zu wenig für uns und wir essen im Zelt noch ein Brot mit Marmelade. Ich habe nicht besonders gut geschlafen. Es war mir furchtbar kalt und dann hatte ich auch Hunger.

Tag 2: Auf der Suche nach den verlorenen Schuhen

Gegen 8:30 Uhr gingen wir in die Kantine um zu frühstücken. Es gab noch kein Brot. Ich habe nur einen Kaffee getrunken und einen Keks gegessen. Zum Glück hatte Helmut noch Brot und Marmelade. Heute soll ein schwerer Tag werden und wir brauchen Energie.

2. Etappe (20,5 km)

Die Strecke ist wieder sehr schön. Wir laufen fast nur im Wald. Es ist sonnig und nach ein paar Kilometern ist mir sogar zu warm. An jeder Verpflegungstelle mache ich eine Pause und trinke reichlich. Hügelchen hoch und runter, ich fühle mich kraftlos und es ist erst die 2. Etappe. Kann ich durchhalten? Ich laufe einfach langsamer. Endlich sehe ich das Ziel. Ich freue mich riesig. Helmut steht wieder am Rand und läuft die letzten Meter mit mir. Ich sage nur "wie sieht's aus mit Nudeln heute Mittag?". Ich komme nach 1:53:31 an und Helmut nach 1:33:46. Knapp 20 Min. Unterschied. Wieder ein paar Sekunden gut gemacht für die Wette.
In meiner Altersklasse (20-34) waren wir nur zu zweit, und in diesem Fall bekommt nur die erste einen Preis. Meine "Konkurrentin" ist heute früh nicht gestartet. D. h., dass ich nur durchhalten muss, um den Preis zu bekommen, egal wie schnell (naja... aber nicht zu langsam sonst verliere ich die Wette!).
Auf dem Ruckweg zum Stadion (wo wir zelten) gehen wir einkaufen. Dann essen wir Spaghetti. Nachmittags haben wir ein wenig geschlafen.

Helmut   Sylvie
Helmut und Sylvie bei der zweite Etappe

3. Etappe (14,728 km)

Um 19 Uhr geht es los. Start und Ziel sind am Kasteel ter Horst. Diesmal habe ich meinen Trinkgurt dabei, mit 2 kleinen Fläschchen. Ich bin zwar müde, aber es läuft gut, besser als am Vormittag. Ich erreiche das Ziel nach 1:17:34, Helmut nach 1:04:16. Ein zusätzlicher Vorsprung von 1,5 Minuten für mich. Der Vorsprung verringert sich immer weiter. An einem nahen Sportplatz wird geduscht und im Kasteel etwas gegessen. Es reicht uns nicht und wir wollen nachher wieder etwas im Zelt essen. Wir fahren zurück. Ich packe ganz schnell meine Sachen aus. Ich schaue überall um: ich habe meine Laufschuhe (mit Chip dran) in der Umkleidekabine vergessen. Es wundert mich, denn ich hatte nochmal geprüft, ob etwas von mir noch da liegt, bevor ich den Raum verlassen habe. Hat jemand sie aus Versehen mitgenommen? Wir fragen das Paar, das sich um das Stadion kümmert. Sie rufen eine Frau an, die noch im Kasteel ter Horst ist. Danach will sie noch den Betreuer des anderen Sportplatzes anrufen, um zu herauszufinden, ob er etwas gefunden hat. Helmut spricht mit dem Mann, der sich um die Zeitmessung kümmert. Falls ich meinen Chip nicht wieder finde, würde ich einen Leihchip bekommen, damit ich auch am nächsten Tag starten kann. Eine Gruppe von Franzosen nimmt auch am Lauf teil. Ich gehe zu ihnen, um zu fragen, ob jemand von ihnen meine Schuhe mitgebracht hätte (sie waren in einer Plastiktüte aus Frankreich und ich war als Deutsche angemeldet). Nichts. Endlich kommt die gute Nachricht: eine Frau hat meine Laufschuhe zurückgebracht. Die Frau vom Stadion begleitet mich, um die Schuhe zu holen (und um zu übersetzen). Es sind junge Holländer. Eine Frau gibt mir meine Schuhe zurück und ich sage "Dankeschön". Ein junger Mann sagt dazu "ach, Deutsche!". Ich will den Ruf der Deutschen nicht beschädigen und präzisiere, dass ich aus Frankreich komme.
Ich fand es super nett von dem Paar, mir bei der Suche geholfen zu haben, auch wenn es schon 22:30 Uhr war. Sehr nette Leute.

Tag 3: Keine Lust mehr

Wieder habe ich schlecht geschlafen. Es war mir immer noch sehr kalt, obwohl ich in einer langen Hose und einer Fleece-Jacke geschlafen habe. Ich hatte keine Lust mehr zu laufen.

4. Etappe (8,7 km)

Die 4. Etappe ist ein Zeitlauf. Ich laufe mich warm und habe dabei das Gefühl, dass ich nicht sehr schnell sein kann. Alle 30 Sek. startet ein Läufer. Die 100km-Läufer fangen an, und es geht los mit dem letzten der Zwischen-Ergebnisliste, und dann dem vorletzten, usw. Hier sieht man wieder, wie gut alles organisiert ist. Ein Pferdetransporter steht am Start. Man kommt durch eine kleine Tür herein und die hintere Klappe dient als Startpunkt, wie man es aus dem Radrennen kennt. Es läuft eigentlich gut. Nach anderthalb km hole ich meinen Vordermann ein und überhole ihn später. Ich werde auch überholt und überhole andere Läufer. Ich bin im Ziel nach 44:48. Ich warte auf Helmut (nur weil er später gestartet ist). Er kommt nach 36:38 an. 8 Min. 10 Unterschied zwischen unseren Zeiten. Fast 1 min/km. Die Tendenz dreht sich langsam um. Ich werde langsamer oder Helmut schneller, oder beides.
Zum Mittagessen gehen wir in die Stadt, um etwas Warmes zu essen. Leider sind viele Restaurants zu. Wir essen im "Cafe de Paris". Ich fand, es hatte von Paris nur den Namen. Am Nachmittag bin ich noch ein wenig eingeschlafen.

5. Etappe (18,784 km)

Diese Etappe habe ich so gefürchtet. Zum Schluss kommen 2 lange Etappen. Ich fühle mich so müde und kraftlos. Ich nehme meinen Trinkgurt mit, um unterwegs trinken zu können. Damit muss ich nicht an jeder Verpflegungsstelle halten und Minuten lang Pause machen. Ich bin diesmal langsamer losgelaufen und habe das Tempo durchgehalten. Bei km 10 hatte ich einen Tiefpunkt und dann ging's wieder gut und nachher habe ich mich ziemlich wohl gefühlt und es hat mir Spass gemacht. Kurz vor dem Ziel läuft Helmut mit. Die befürchtete Etappe ist vorbei. 1:43:12 für mich, 1:23:53 für Helmut. Er macht ein paar Minuten gut. Es bleibt spannend. Alles wird sich bei der letzten Etappe entscheiden.
Abends gibt es die Pasta-Party.

Tag 4: Der Sturz

An dem Tag habe ich länger geschlafen und konnte mich nur mit viel Aufwand aus dem Schlafsack ausrollen. Wenigstens hatte ich ganz gut geschlafen (diesmal mit 2 Hosen und 2 Jacken) und ich freute mich auf dem kommenden Lauf.

Helmut   Sylvie
Helmut und Sylvie auf der letzten Etappe

6. Etappe (21,243 km)

Dank meinem Vorsprung für die Wette darf ich heute 25 Min. nach Helmut ankommen. Er meint, dass er es unter 1:30 nicht schafft. Also sollte ich nach ca. 1:55 ankommen. Ich will den Lauf genießen, und da er ziemlich lang ist, bin ich gemütlich losgelaufen. Ich fühle mich gut, der Wald ist schön, das Wetter ist auch okay. Und plötzlich passiert es. Ich stolpere über eine Wurzel. In einer Reflexbewegung strecke ich die Hände nach vorne. Ich lande auf dem rechten Handgelenk und durch den Schwung (ich war aber nicht so schnell!) rolle ich auf dem Boden (zum Glück war's an der Stelle nicht matschig). Ich stehe wieder auf, ich hatte Angst um mein Knie. Ich kucke ganz schnell, kein Blut, weiter geht's. Meine Hände sind dreckig, meine Beine sind dreckig und am Schlimmsten: mein Lieblings-T-Shirt ist dreckig! Es tut weh an ein paar Stellen, aber es hindert mich nicht zu laufen. Heute finde ich, dass die Schilder 5, 10, 15 km relativ schnell erscheinen. Ich schaue auf meine Uhr: 1:55 sind noch drin. Unterwegs sehe ich den Fotografen und er sagt sowas wie: "gut, es ist nicht mehr weit, 2 km". Ich war mir nicht sicher, ob er "zwi" oder "dri" gesagt hat. Ich frage noch mal und verstehe 2. Nachher überhole ich eine Französin und sage ihr "komm, wir haben es fast geschafft, noch knapp 2 km". Ihre Fahrradbegleitung sagt "sind es nicht 3? Ich habe 'drei' verstanden". Hmmmm also schaffe ich es nicht mehr unter 1:55. Egal, ich laufe weiter. Und schon laufe ich an dem Schild "20km" vorbei. Ein paar Franzosen sind auf der Strecke und feuern mich an. Ich komme ins Stadion. Helmut ist da, schon geduscht. Ich versuche, einen Endspurt zu laufen, aber die 200 oder 300 Meter auf der Bahn erscheinen mir super lang. Endlich das Ziel. Die 100 km habe ich geschafft! Meine Zeit: 1:54:22, Helmuts Zeit: 1:33:13. Wette gewonnen!
Helmuts Gesamtzeit: 7:20:26 (und 10. im Gesamtklassement)
Meine Gesamtzeit: 8:56:06
Nach der Dusche essen wir schnell noch etwas, bauen die Zelte ab und bringen alles zum Auto. Dann findet die Siegerehrung statt. Als 1. (und einzige) meiner Altersklasse habe ich einen Korb mit Wurst, Senf, Himbeermarmelade, Nüssen, Walnüssen, Mandeln, einem Trinkglas und einer Flasche Wein bekommen. Mir wurde sogar auf französisch gratuliert.
Nachher machen wir uns auf den Weg nach Hause.

Am Tag danach merke ich vom strapaziösen Wochenende nichts in den Beinen, sondern am rechten Handgelenk wegen des Sturzes.
Und langsam könnte ich das Medoc-Marathon-Training anfangen; ich habe jetzt genug Material dafür ;-)

Fazit: Dieser Etappenlauf ist sehr zu empfehlen. Die Helfer, Veranstalter und Teilnehmer sind alle sehr nett. Die Stimmung war immer freundlich und das Laufen hat einfach Spass gemacht, auch wenn es anspruchsvoll war.

 

Sylvie