Bericht vom Hamburg-Marathon 2008 (27.4.2008)

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Also, nicht immer erscheint es mir eine wirklich schlaue Idee zu sein einen Marathon zu laufen. Vielleicht nicht immer während dessen, sicherlich aber hinterher. Dazu später mehr.

Diesmal, mein zweites Mal, sollte es der Hamburg-Marathon sein. Andrea hat gesagt der sei schön und meine Frau, die Bianca, findet Wasser und Schiffe toll. Die Wahl erschien also logisch.

Am 26.04.2008 ging die Reise nach Hamburg los, per Flugzeug von Düsseldorf aus; kann ich nicht empfehlen. Erstens ist es umständlich hin zu kommen, schwierig einen teuren Parkplatz zu ertragen und dann liegt der Hamburger Flughafen ziemlich weit außerhalb der Innenstadt. Das Ganze mit den Erfolg das man nach einer Himmelfahrt da ankommt, wo der entspannte Bahnfahrer auch landet, nämlich am Hauptbahnhof. Allerdings ist der vermutlich nicht gefühlte einhundert mal umgestiegen und hat, weil er mal wieder, wie wir, zu spät dran war, ein sündhaft teures Knöllchen vom Düsseldorfer Ordnungsamt zugestellt bekommen als er schon nicht mehr an dieses rote Blitzen unter der Brücke dachte - und das wegen lumpiger 25 km/h zu viel auf einer leeren Autobahn um 05:00 Uhr morgens. Erstaunlich was für eine schlechte Bildqualität man von denen bekommt - das kann jederBahnhofsphotoapparat besser, also noch ein „pro“ für die Bahn.

Nun denn, wir sind schlussendlich angekommen und haben unser Hotel bezogen. Da wir zuvor noch nie in Hamburg waren, haben wir zuerst mal das gemacht, was der typische Tourist so macht - sight seeing.

Hamburg ist wirklich eine sehr sehenswerte Stadt mit einem schönen Flair und einer nicht zu aufgeregten Stimmung. Ich bin ja ein Berlin-Fan, wer allerdings eine Stadt besuchen möchte, die ähnlich viel zu bieten hat, aber nicht so „hip“ erscheinen möchte, dem sei ein Trip nach Hamburg an´s Herz gelegt. Zwar behauptet der Volksmund der Norddeutsche an sich sei kühl, die Stadt strahlt das aber nicht aus - im Gegenteil.

Gestärkt nach einem tollen Frühstück im Literaturcafe an der Außenalster, haben wir den Hafen besichtigt und eine Rundfahrt auf einem tendenziell deutlich renovierungsbedürftigen Schiff gemacht, das zum Ausgleich für sein Erscheinungsbild aber in die kleinsten Ecken des Hafens fahren konnte - super interessant.

Beim Abholen der Startunterlagen für den Lauf am nächsten Tag begann meine Nervosität. Die wahrscheinlich üblichen Fragen - hab ich ausreichend trainiert, was soll das Ganze, ist das eine schlaue Idee, kann ich so laufen, wie ich das mir wünsche usw. - stellte mich mir ab diesem Zeitpunkt relativ oft.

Bei meinem ersten Marathon in Köln 2007 bin ich auf ankommen gelaufen, aber dies mal wollte ich gern nach 4:15 h im Ziel sein.

Abends waren wir bei einem Italiener essen - Kohlenhydrate auffüllen. Haben sich auch ungefähr 200 andere Menschen gedacht, die bewaffnet mit der Plastiktüte des Hamburg-Marathon alle vor dem gleichen Essen saßen - Spaghetti napoli und Mineralwasser. Die Stimmung war interessant, geredet wurde wenig, waren wahrscheinlich auch alle nervös, aber es wurde sich allseits freundlich, anerkennend oder mitleidig zugenickt. Mitleidige Blick gab es von den offensichtlich nicht laufenden Anhängen der LäuferInnen, die Marathonlaufen wahrscheinlich auch für keine wirklich schlaue Idee hielten oder zumindest daran zweifelten; da hatten dann alle was gemeinsam.

Abends passierte nicht Spannendes mehr, morgen sollte schließlich gelaufen werden.

Morgens beim Frühstück konnte ich nicht viel Essen und hab mich mit Obst begnügt. Macht aber nichts, denn das was ich nicht gegessen habe, hat meine hungrige Frau für mich mit verdrückt. Sie wusste nicht, wie lang der Spaß dauern würde und hat schon mal vorgegessen - das liest sie bestimmt nicht gerne. Wir waren ziemlich früh am Start. Zum Glück war es ziemlich kühl und wunderbares Wetter zum Laufen. Es versprach den ganzen Tag sonnig und trocken zu sein.

Christian   Bianca
Christian und Bianca - vor dem Lauf

Als wir dann also gemeinsam in unserem Startblock standen, konnten wir schon mal beobachten, wie die Profis das so machen. Die Elitegruppe lief sich warm, als wenn 42 km und ein paar Zerquetschte nicht ausreichend lang wären, um warm zu werden.

Ihr Laufstil war eine pure Unverschämtheit - leicht, federnd, elegant und raumgreifend - beneidenswert.

Witzig war, dass ich Christine aus Aachen in meinem Startblock kennen lernte. Sie läuft auch beim LT Beverau Aachen, aber es kam bis dahin nie zu einem Treffen. Aber dann, eingepfercht mit ca. 2000 anderen LäuferInnen, haben wir uns getroffen- zufällig und schön. Beim Lauf selbst haben wir ein Teilstück gemeinsam bestritten,uns aber bei Km 32 aus den Augen verloren.

Um 9:00 Uhr ging es denn los - Start. Ich hatte beschlossen mich an einem Tempoläufer zu orientieren, der laut seinem angehängten Luftballon nach 4:15 h im Ziel sein sollte. Als wenn er nicht auffällig genug wäre, habe ich ihn nach 500 gelaufenen Metern prompt verloren. Hab ihn dann aber wieder gefunden.

Kurios war auch, dass es komische LäuferInnen gibt. Den Plan dem Orientierungsläufer zu folgen hatten auch andere und die kämpften mit Einsatz der Ellenbogen um eine Position hinter ihm - wie 400 m Sprinter in der Zielkurve bei Olympia, in diesem Fall allerdings schon bei KM 2 von wohlgemerkt 42,195 Kilometern - was für ein Blödsinn. Am Ende waren wir, eine sehr sympathischeLäuferin aus Hamburg und ich, dann allein mit ihm unterwegs, die „Kämpfer“ haben sich unterwegs vermutlich gegenseitig niedergestreckt. Leider hab ich kein besseres Bild vom ihm, als dieses, aber das war ungefähr die Perspektive aus der ich „unseren“ Tempoläufer zumeist gesehen habe. Falls er meinen Bericht lesen sollte,nochmals vielen Dank!

Unser Tempoläufer
Unser Tempoläufer

Der Lauf selbst war super. Er führt durch schöne Hamburger Ecken, entlang ruhiger Villen, entlang des Hafens, durch die Innenstadt mit Rathaus und Innenalster, folgt ein Stück der Außenalster und kommt in weitem Bogen zum Ziel.

orangenen Trikot
Der mit dem orangenen Trikot am rechten Bildrand, das bin ich!

Hübsch fand ich die Unterschiede der Straßen durch die wir liefen. An der Außenalster saßen die Zuschauer an weiß eingedeckten Tischen mit gediegenem Service und machten ein Sektfrühstück; in der Gegend der „Normalos“ gab es Bierzeltgarnituren und dazu passend Bier. Das war nicht edel, aber sie hatten die bessere Laune und Stimmung. Waren vielleicht zugezogene Rheinländer!?

Bis KM 32 lief alles Bestens. Das Tempo lag bei konstanten 6 min/km. Danach wares aber nicht mehr lustig.

Ich war körperlich gut drauf, aber ab hier fingen die Schmerzen an. Als es dann eine breite, mehrspurige Straße sanft aufwärts in die Innenstadt führte, dachte ich die Kilometerschilder seien hier nicht aufgebaut worden. Waren sie, ich lief nur langsam. Haruki Murakami zitiert in seinem Buch „Wovon ich rede, wenn ich vom Laufenrede“ einen unbekannten Läufer der sagte „Schmerz ist unvermeidlich, Leiden eine Option!“ Da kann ich nur „ja“ sagen, weh hat es getan und Leiden war auch dabei. Da helfen auch wohlgemeinte Schilder mit der Aufschrift „Schmerz ist Schwäche, die den Körper verlässt!“ nichts, denn was soll einem schon groß wehtun, wenn man ein Pappschild hochhält und mit der freien Hand Bier trinkt. Und selbst wenn, dann hält das Schild eben ein anderer Freihandbiertrinker, aber wer soll für mich laufen?

Ja, ich war unfair als es mir weh tat und ein wenig Selbstmitleid hatte ich auch, aber es gilt „viel Spaß im selbstgewählten Schicksal.“

Insgesamt bin ich aber unheimlich dankbar um jeden Einzelnen, der mir und allen Anderen motivierend zugejubelt hat, denn das haben die Zuschauer wirklich. Sie haben alle angefeuert und das tut wirklich gut. Es ist ein tolles Gefühl und noch heute läuft es mir kalt den Rücken runter, wenn ich daran denke, dass fremde Menschen fremden Menschen zurufen und sie zu Leistungen antreiben, die nicht alltäglich sind,denn das ist ein Marathon nicht. Ich danke also auch dem Biertrinker/Schildschwenker, oder besser Schildhochhalter.

Die Schmerzen waren dann zum Glück auch bei KM 41 vorbei, lag wahrscheinlich am Adrenalin, davon verstehe ich berufsbedingt eine ganze Menge. Der Zieleinlauf war ein tolles Gefühl, noch besser wäre es gewesen, wenn ich Bianca gesehen hätte. Ich war sehr stolz auf mich, dass ich durchgehalten habe, als es weh tat und keinen Spaß gemacht hat, dass ich nicht aufgegeben habe, als das als der viel einfachere Weg erschien, dass ich mich selbst besiegt habe und dass ich meine Wunschzeit gelaufen bin, nämlich 4:13:01 h. Damit war ich der 7709. Ankommer von insgesamt 15782 Glücklichen, die ihren persönlichen Marathon durchgehalten haben.

Im Ziel gab es dann kaltes Erdinger alkoholfrei und ich hab mir mein geschmolzenes Snickers gegönnt - hab es schließlich 42.195 km durch Hamburg geschleppt. Soviel sight seeing hatte noch kein Snickers. Danach ging es duschen. Auch komisch, nach einem Marathon stehen hunderte nackter Menschen - nur bedingt sichtgeschützt und geschlechtergetrennt - in Schlangen vor Duschen mit mäßig warmem Wasser und freuen sich jeder auf seine Weise.

Es wurde „gefachsimpelt“ und einander gratuliert und ich bin sicher, dass die Menschen es ernst meinten, wenn sie einander anerkannten.

Nach dem Lauf
Nach dem Lauf

Am Abend waren wir in einem sehr schönen portugisischen Restaurant an der „Langen Reihe“, so heißt die Straße, Fisch essen - phantastisch. Allerdings hat mich das Viertel Weißwein relativ suffizient ausgeschaltet, so dass ich vom restlichen Abend nicht mehr weiß, als das ich schlecht geschlafen habe - Muskelkater.

Am nächsten Tag ging es dann nach Hause, das Drama der Hinreise nochmals, nur umgekehrt.

Allerdings haben wir den Tag noch genutzt um weiter Hamburg anzusehen. Die Speicherstadt ist ein architektonischer Leckerbissen und wirklich sehenswert. Besonders zu empfehlen ist das „Fleetschlößchen“. Ein kleines, sehr gemütliches, eher unkompliziertes Restaurant mit guter Musik, sehr einmaligem Ambiente und super netten Mitarbeiterinnen.

Ja, der Eindruck stimmt, Essen spielt bei mir eine große Rolle. Zum Stellenwert von Essen bei meiner Bianca darf ich mich wahrscheinlich nicht weiter äußern.

Danach sind wir zum Flughafen und als ich da so an den verschiedenen Gates vorbeihumpel, sehe ich verschmitzt lächelnde und wissend nickende AfrikanerInnen, die „unverschämten“, ja ich bin neidisch, Profiläufer, die mich ansehen. Haben mich wahrscheinlich anhand der Marathonplastiktüte zugeordnet.

Und wegen all dieser Emotionen ist es eine wirklich schlaue Idee Marathon zu laufen - und genau deswegen war es noch lange nicht der letzte lange Lauf.


Christian


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